Der Glaube als Geschenk - Medialer Akt "Sich ergreifen lassen"
Wie wäre es denn damit, den Glauben in einer medialen Art und Weise zu verstehen, als ein freiheitliches "Sich-Ergreifen-Lassen" von dem, wovon man sich betroffen sieht?
Ich behaupte, der Glaube ist Freiheitsvollzug und Geschenk zugleich. Er ist einerseits Freiheitsentscheidung, und andererseits ist der Glaube "Geschenk", d.h. er ist von einer inneren Kraft getragen, die man sich nicht selbst verdankt. Die Philosophie mag "gute Gründe" für den Glauben geben, aber den Glauben hervorbringen kann sie nicht, höchstens anregen, den Boden bereiten, aber wie entscheidet man sich? Oder fragen wir lieber: "Wie entscheide ich mich?"
Sagen wir mal, die Welt sei so tief und so kompliziert, das Leben für sich ein Geheimnis und in sich ein natürliches Wunder, und gesetzt seien philosophische Argumente sehr überzeugend formuliert, diese seien wirklich so gut, dass man kein Gegenargument findet, so bleibt immer noch die Frage offen: "Was sehe ich wirklich, wenn ich was sehe?" Von daher, mögen die philosophischen Argumente noch so gut sein, so kann ich in meiner freien Entscheidung nach wie vor skeptisch bleiben. Also ist die Annahme einer philosophischen Überzeugung immer stets Freiheitsakt.
Erkenntnis als "Geschenk"
Jetzt erzähle ich mal eine Anekdote: Es gab einmal ein namhafter Mathematiker, der sich 10 Jahre vergeblich bemüht hat, die Lösung auf ein Primzahlenproblem zu finden. Um der Lösung näher zu kommen, schrieb er befreundete Mathematiker an, um so einen Austausch zu fördern und vielleicht die Lösung zu finden. Schließlich fand ein jüngerer Mathematiker und Student die Lösung und veröffentlichte sie. Daraufhin korrigierte der ältere Mathematiker die Lösung der Form nach und publizierte diese Korrektur, um seine Ehre zu retten.
Was will uns diese Anekdote sagen? Eine mathematische Idee, die nötig ist, um weiterzukommen, die kann man sich nicht herbeizaubern, sondern sie fällt einem einfach "ein". Manchmal versucht man verkrampft eine Aufgabe zu lösen, schafft es nicht, und erst wenn man ein wenig loslässt, wenn man unter der Dusche steht, dann kommt der "Aha"-Effekt. Das heißt, die rettende Idee gibt sich "gnadenhaft" demjenigen, der nach ihr gesucht hat. Das allein steht in einem krassen Widerspruch zu der Erkenntnishaltung, die man oft nach der Neuzeit wiederfindet, nämlich die Haltung des "Ergreifenwollens", was leider nicht gelingt; Erkenntnis als einen gnadenhafter Vollzug zu verstehen ist allerdings den Wissenschaftler zu "magisch". Die Erkenntnis der Idee über die Lösung, die man als plausibel und einsichtig erkennt, ist also ein "Geschenk".
Wie denn auch immer so kann ich der entsprechenden Idee gegenüber "skeptisch" bleiben. Oft sind einer freien Entscheidung gewissermaßen Grenzen gesetzt. Also eine absolute menschliche Freiheit gibt es nicht, sondern es gibt immer nur Freiheit in Grenzen. Manchmal erwischt mich größere Gewissheit über eine Idee, ohne dass ich das so gewollt hätte. Manchmal bleibe ich skeptisch, auch wenn ich mir das anders wünschte. Wenn ich aber Gewissheit erlangt habe, so ratifiziere ich schließlich frei diese Idee. Also Gnade und Freiheit durchdringen sich gegenseitig.
Verliebtheit "Geschenk"
Wohl niemand von uns kann von sich sagen, er könne sich das Verliebtsein selbst "befehlen". Niemand sagt wohl: "So, jetzt will ich mich in XY verlieben!" Vielmehr erkennt man sich im Nachhinein als jemand, der sich verliebt hat. Dabei hat sicher diese Verliebtheit zunächst mit "Blindheit" ein wenig zu tun. Dennoch "glaubt" man den Betreffenden zu kennen. Was als begehrenswert erscheint, muss im Herzen irgendwie bewertet werden. Die Angebetete oder der Angebetete erweist sich als etwas Kostbares, als etwas Unersetzliches, was man nicht missen möchte.
Nun komme ich also zu einer anderen Erkenntnisart, die anders ist als das rationale Erkennen, denn gerade, wer behauptet, er hätte den "besten" Partner geheiratet, wiegt ab, was man nicht abwiegen kann. Damit hätte man die Liebe gerade zunichte gemacht, denn wenn es einen noch besseren oder hübscheren Partner gegeben hätte, dann gäbe es durchaus Ersatz dafür. Ein Mann heiratet also nicht die beste Frau, sondern die einzige. Hier muss man also von einer Hierarchie der Wertfindung reden. Unvergleichliches vergleicht man nicht.
Nun ist es unmöglich, etwas wertzuschätzen, was man nicht kennt. Und es ist unmöglich etwas zu kennen, was man im Herzen nicht irgendwie von seinem Wert her kennt. Beides bedingt gegenseitig, und ich weiß auch nicht zu sagen, was zuerst ist. Lediglich, dass das eine nicht ohne das andere sein kann. Ich bleibe dabei: Liebe und Erkenntnis haben sehr viel miteinander zu tun. (Hier sei also in der Wertschätzung etwas anderes als die bloße "Verliebtheit" zu sehen, obwohl die Verliebtheit als ein Katalysator zu der tieferen Wertschätzung im Herzen dient).
Insgesamt ergibt sich eine "Ergriffenheit" in der Verliebtheit, wobei jeder Erwachsene lernen können muss, damit umzugehen. Man ist ergriffen und man lässt sich ergreifen, nur wer unreif ist, der weißt sich nicht zu beherrschen sondern wird beherrscht. Zu der Ergriffenheit kommt also das freie Tun hinzu, und ohne diese freie Zustimmung wäre die Liebe nichts anderes als blinder Trieb.
"Glaube" als Geschenk und als freies Tun zugleich
Ich rede zuerst darüber in plastischen Bildern, denn sie sind etwas leichter zu verstehen. Religiös gesprochen sieht sich Maria in der Begegnung mit dem Engel durch die Erfahrung betroffen, daß derjenige, der größer ist, als jeglicher Verstand verstehen kann, ihr nahekommt. Sie erkennt sich selbst als diejenige, die von Gott erkannt wurde. In der Begegnung mit dem Engel spürt sie die Heiligkeit und die Größe Gottes und sie spürt gleichzeitig, dass es etwas ist, was sie nicht gänzlich mit dem Verstand ergreifen kann: "Wie kann denn das geschehen?", fragt sie. Als der Engel zu ihr spricht, sagt sie nicht: "Aha, jetzt habe ich es kapiert!", sondern: "Meine Seele preist die Größe des Herrn." Als sie den Heiligen Geist empfängt, wird sie mit der Kraft ausgestattet zu sagen: "Meine Seele preist die Größe des Herrn!" Diese innere Freude drückt aus, dass das, was ihr Verstand übersteigt, zugleich ihrem Herzen ziemlich nahekommt. Erkenntnistheoretisch redet man also von einem Wissen im Unwissen um die Existenz Gottes. Oder soll man lieber sagen, es handele sich um ein Unwissen im Wissen? Beides gilt.
Jeder hat einen Weg zum Glauben oder zum Unglauben
Gerade der Heilige Paulus will sich den Glauben nicht ausgesucht haben. Er entschied sich nicht freiwillig dazu, in Damaskus Christus zu begegnen. Aber auch hier so sagt man, kam der Glaube auch nicht automatisch mit der Gotteserfahrung. Paulus sah sich mit "Blindheit" geschlagen, er verstand die Welt und sich selbst nicht mehr. Die Gotteserfahrung war so überwältigend, dass er gar nichts mehr verstand. Erst als der Heilige Geist über ihn kam, er die Kraft zum Glauben empfing, wurde er wieder sehend.
Dann hat jeder von uns Gläubigen einen persönlichen Weg zum Glauben durchgemacht. Manche haben das Beten und die Begeisterung von Kindesbeinen an durch die Eltern vermittelt bekommen. Andere haben sich im Erwachsenenalter bekehrt. Manche machen (wie ich) einmal im Leben eine Glaubenskrise, aber nach einem Ringen mit dem Glauben, vielleicht nach dem Gebet mit anderen, kommt es zu einer Entscheidung, was bei mir mit einer Festigung verbunden war. Ganz wenige haben eine Heilung von einem körperlichen Leiden erfahren, andere haben eine ganz persönliche Gotteserfahrung gemacht, und wiederum andere haben nur einfach eine Art "Urvertrauen" in die Eucharistie.
Wollte man sich den Glauben "nehmen", dann aber würde er sich als unsicher darstellen und man würde merken, dass man sich dieses Urvertrauen in Gott nicht selber geben kann. Ein evangelischer Theologe erzählt, seine 10 jährige Tochter sei todkrank gewesen. Dann betete er: "Lieber Gott, wenn meine Tochter jetzt stirbt, dann weiß ich nicht, ob ich noch an Dich glauben kann." Dann starb seine Tochter. Er verlor aber seinen Glauben nicht, sondern machte eine ganz andere Erfahrung. Vorher tat er vieles in der Gemeinde und tat auch viel, um seinen eigenen Glauben aufrecht zu erhalten. Vorher trug er den Glauben, jetzt trug der Glaube ihn.
Glaube und philosophische Überzeugungen
Als Glaubender kann ich immer philosophische Überzeugungen haben. Vielleicht muss man ursprünglicher feststellen, jeder seinen eigenen Entwurf und seine Deutung der Welt hat. Im Grunde genommen ist jeder Gläubige ein "kleiner" Philosoph, d.h. nicht von Berufs wegen. Die Welt wird als gedeutete Welt erkannt. (Katholiken und Orthodoxen haben hierbei von Hause aus einen engen Bezug zur Mystik und zu den Wundern der Welt.)
Ein gänzlich von philosophischen Begriffen losgelöster Glauben, den gibt es nicht
Selbst das Wort "Schöpfung" aus der Genesisgeschichte setzt voraus, dass Gott der ganz Andere ist. Wenn Gott nicht ein Teil der Schöpfung und damit der vergänglichen Welt ist, ist er der "transzendente" Gott. Wenn man nun sagt: Vom "Nichts komme nichts", also die Welt nicht von ungefähr daher kommt, sondern aufgrund des Willens Gottes, so sagt man damit, daß Gott der "Grund" der Welt ist. Gott wäre also gleichzeitig in der Welt immanent. Diese doppelte Bestimmung pflegt man in der Philosophie als "Analogie" zu benennen. Gott als Grund der Welt ist das, was Sonne und Mond sind, ohne Sonne und Mond.
Der erste Begriff der Transzendenz ist selbst im Offenbarungsglauben pflicht, denn wer ihn ausradieren will, der muss sich den Vorwurf eines bloßen Animismus gefallen lassen. Wenn Gott nicht transzendent ist, wäre Gott nicht der Schöpfer sondern nur ein Geist. Zwar muss niemand philosophieren, aber wer die Philosophie gänzlich ablehnt, der muss sich höflich fragen lassen, was er für einen Gottesbegriff hat.
Sinnhaftigkeit der philosophischen Gottesbeweise
Ich sagte oben, dass philosophische Argumente, wie gut sie auch sein mögen, den Glauben nicht automatisch hervorbringen. Dennoch haben philosophische Grundüberzeugungen einen entscheidenden Einfluß auf den Glauben. Gottesbeweise verstehe ich nun mal nicht in erster Linie als eine Reihe von Prämissen, die man annimmt, von wo aus nun zu dem vorgestoßen wird, was "hinter" der Welt ist.
Vielmehr sind Gottesbeweise so zu verstehen, dass sie eine Deutung des Daseins als Ganzes darstellen, so wird die Welt und der Mensch im kosmologischen Gottesbeweis als kontingent und nicht notwendig erfahren, wo man aufgrund vieler eigenen Erfahrungen die eigene Sterblichkeit erfährt, wo gegensätzliche hybride Vorstellungen vom Menschen einfach als dahergegriffen erscheinen, und von dort aus kann man zu der Überzeugung gelangen, dass es wohl nichts geben könnte, wenn es Gott nicht gibt. Im deontischen Gottesbeweis wird die sittliche Pflicht als Theophanie Gottes gedeutet. Bei einem Levinas finden wir in der Unbedingtheit aus der Erfahrung des "Anderen" sowas wie ein absoluter Anspruch, der in sich selbst göttlich ist; dort sei nun die Brücke zur Metaphysik zu finden, zu einem Gott, der nicht Fleisch werden will.
Die Wege Gott im Denken zu finden sind verschieden. Eher selten bekehrt sich jemand aufgrund seiner Suche in der Philosophie, dennoch gibt es leuchtende Beispiele dafür, etwa bei Edith Stein, die entscheidend über die Phänomenologie Husserls nicht nur zum Glauben sondern auch noch zur Mystik fand.
Insgesamt sind philosophische Gottesdeutungen aus Grunderfahrungen vor allem dann nur glaubwürdig, wenn diese sich gleichzeitig des Tiefen- und Transzendenzcharakters in der Welt bewusst sind. Wer keinen Bezug zu einer gemäßigten Mystik des Alltags hat, der muss seine philosophischen Gottesbeweise in der Art des Rationalismus abhandeln lassen, woraus die Kapitulation fast automatisch folgen muss. Gott (ähnlich wie die Liebe oder wie die Ethik) findet man nicht so wie eine Substanz im Reagenzglas.
Philosophische Grundüberzeugungen als "Gnade"
Wenn man dem folgt, was ich oben in der Anekdote über den Mathematiker gesagt habe, und wenn man sich bewusst macht, dass man sich selbst keine philosophische Überzeugungen selber befehlen kann, so sind diese ungeachtet ihrer Wahrheit immer stets "Gnade", vorausgesetzt, es ist etwas wahres dran. Es gibt sodann erbärmliche Ansichten und Ansichten, die groß von der Welt denken.
Das stille Wirken des Heiligen Geistes im Herzen
Insgesamt muss jeder Gläubige eine gewisse Begeisterung für den Glauben erfahren, ein Staunen darüber, dass man sich selbst als Glaubender erfährt. Dies gilt sowohl für Leute, die wenig mit Theologie und Philosophie zu tun haben, als auch für solche, die täglich damit zu tun haben. Theologen sind dabei genauso verwirrt wie Nichttheologen, nur auf einer höheren Ebene. Dieses Urvertrauen ist nun mal was anderes als jegliche philosophische Deutung des Daseins. Er "erwischt" einen einfach, und der Erwischte lässt sich erwischen, und nicht zuletzt, denkt er über die Welt nach, zumindest ein klein wenig.
Fazit
Der Glaube ist beides zugleich, freie Entscheidung und Gnade zugleich, ein Ergriffenwerden und ein freies Sich-Ergreifen-Lassen, eine Entscheidung zwischen Denkmöglichkeiten und ein ursprüngliches Überzeugtsein, ein Erfülltwerden vom Heiligen Geist und ein sich Erfüllenlassen. In beidem wirkt nun Gott hinein: in das Wollen und das Vollbringen, von daher ist Gott in erster Linie der Ursprung des Glaubens, wenn es ihn gibt.