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Unter Philosophie verstehe ich Reflexion auf Grunderfahrung, d.h. sie hat nicht die Aufgabe, die letzten Geheimnisse der Natur zu entreißen, sondern immer stets die menschlichen Grunderfahrungen in Bezug auf Welt, Freiheit, Schuld, Vergebung, Liebe zu überdenken und kritisch zu hinterfragen.

Es ist keineswegs so, daß ich die Welt sehe und dann die Deutung hinein bringe, sondern jene begegnet mich in der Weise, daß ich sie ursprünglich gedeutet habe. Jede Erfahrung ist eine Als-Erfahrung und darum eine gedeutete Erfahrung. Darum ist eine jede Sicht der Welt immer ursprünglich eine Form "philosophischer" Glaube, wobei dieser Glaube negativ atheistisch oder agnostisch, oder auch positiv theistisch belegt sein kann. Hier begegnen nicht etwa Glaube und Wissen, sondern vielmehr Glaube und Glaube. Wer also philosophiert, hinterfragt seinen Standpunkt der Dinge und tritt in einen Dialog ein. Vordringlich geht es um Selbstvergewisserung, um ein Klarwerden von Standpunkten, wo ich stehe. Und dann versuche ich mit meinen Argumenten in einen Dialog mit denen zu treten, von den Dingen die mir heilig und wertvoll sind.

Philosophie ist darum immer ein Freiheitsakt. Niemand muß fragen. Niemand muß diskutieren. Mag sein, daß es Leute gibt, die in der Selbstversenkung die Welt zu ignorieren versuchen. Ich jedenfalls habe Fragen und stelle sie auch.


Das Gute begegnet uns jeden Tag

Einst hatte Sokrates gesagt: "Ich weiß nur, daß ich nichts weiß", aber man vergißt, daß er es lieber vorzog, den Giftbecher auszuleeren, als die Jugend mit den Märchengeschichten der Dichter zu verführen. Er opferte lieber sein Leben, das Einzige was er hatte, als ein Verrat an die Wahrhaftigkeit zu vollziehen. Hier knüpfen also "Erfahrungen" an, bei dem im Guten quasi göttliche Eigenschaften sah. Das Gute als unendliche Größe findet sodann im Denken Platons seinen Ruhm, er spürt dies, bis er schließlich, da ihm Worte fehlten, dies philosophisch tiefer zu deuten, schließlich in seinem letzten Buch fallen ließ.

Romano Guardini sagt über das Gute, daß wenn mir jemand das Gute erwähnt, so weiß ich das auch, aber wenn mich jemand fragt, und ich soll es sagen, dann weiß ich das auch nicht. Das, was selbstverständlich ist, wenn man es tiefer in den Blick zu nehmen versucht, merkt man, daß es Geheimnis birgt. Da ist also Wissen und Unwissen immer stets miteinander verwoben.


Geheimnis des Lebens

Wenn also jemand sagt, der Mensch sei ein geheimnisvolle Wesen, so klingt das nach Sensation. Zunächst das sind ja wir. Da kann ja niemand sagen, er wüsste nicht, was ein Mensch sei. Wenn er das nicht unterscheiden könnte, würde er bald über Leichen gehen. Und doch haucht in allem, der Freiheit und der Natur auf ihre Weise, eine Spur Geheimnis. Wenn man die Freiheit ihrem letzten Geheimnis entlocken könnte, so hätte man sie abgetötet, weil man sie unerlaubterweise "verdinglicht" hätte.


Das Geheimnis als Schlüssel zur Erkenntnis

Da müsste man eher vielleicht sagen, gerade dadurch, dass ich aus meinem Bruder nicht einen gläsernen Menschen zu machen versuche, sondern ihn bezüglich der Freiheit seine Unberechbarkeit wahre, ihn als Geheimnis akzeptiere, werde ich befähigt, ihn so zu sehen und zu akzeptieren wie er ist. Und auch die eheliche Liebe gründet nicht auf Berechnung sondern auf Vertrauen; wer also berechnen will, macht die Liebe unmöglich und auch die Erkenntnis des geliebten Gegenübers.

Man braucht nur mal an die Natur zu denken, an die Pflanzen die einen umgeben, und schon kann es einem aufgehen, dass man mit Geheimnis umgeben ist. Man spricht über das Leben der Pflanzen, und dann wird es einem bewußt, dass es eigentlich etwas Wunderbares ist, man sieht das Leben sprießen, aber vollkommen durchdringen, was da im Innersten vor sich geht, da bleibt das meiste verborgen. Oder man spricht über das Licht, aber das Licht an sich können wir nicht sehen, sondern erst wenn es auf Gegenstände trifft. Und hier bleiben diese Wirklichkeiten nicht einfach so im Raum stehen, sondern vielmehr kommt hier das Herz dazu, das mit Verstand erleuchtete innerlich zu verkosten, und nur so gelangt die Wirklichkeit auf diese menschliche Weise zur Anschauung.


Philosophie und Geheimnis

Die Philosophie der Neuzeit hat eben diesen Bezug zum Geheimnis des Lebens verloren. Man stellt den Anspruch, dass wenn man schon über das Leben philosophiert, dann müsse dies auf jeden Fall mit gesicherten bzw. mit "handfesten" Gründen oder Beweise geschehen. Sowas leuchtet jedem Philosophen ein, dass das nicht geht. Diese Tendenz fängt bereits bei Descartes an mit seinem Rationalismus an, und dann resignieren die Philosophen, sodass man dann in der Postmoderne nicht mehr über die Welt und das Sein fragt, sondern sich nur noch Gedanken macht, wie wir dazu kommen, mit Sprache uns auf die Welt zu beziehen.

Ein solcher Plan kollabiert irgendwann, die Philosophie wird lebensfern, und man merkt nicht, dass ein fast jeder Mensch vielfach schon mal die Erfahrung gemacht hat, dass er geliebt wird. Eine solche Erfahrung, müsste man sagen, liegt höher als die Gewissheit darüber, ob es Atome und Quarks gibt, ob sie Teilchen- oder Welleneigenschaften haben.


Verschränkung von Mystik und Philosophie nötig?

Bei den Naturwissenschaftlern wird mit der Zeit ziemlich alles zur Theorie und zum Modell. Die Physik quasi "vergeistigt", während Ideelle Wirklichkeiten wie das Geld immer härter werden. Das Geld wird sogar härter als jede Materie. Es zählt jedenfalls mehr. Von dem, was wir sehen, bleibt das Meiste verborgen.

Mystik heißt, dass im Alltag überall in allen Dingen mit dem Wunder des Lebens konfrontiert sind, das wir kaum durchschauen können. Anders sieht es aus, wenn diese Herrlichkeit des Wunderbaren uns (mitten ins Herz) trifft, wir regelrecht sind ergriffen, von dem, was uns begegnet, ja sogar herausfordert. Das versuche ich jetzt zu erläutern.

Wenn man über Atome und deren Struktur redet, geben sich die Physiker gerne agnostisch, wenn aber einer daher kommen würde, und auf dem ehemaligen Gelände der Universität ein Kernkraftwerk bauen wollte, dann will plötzlich jeder wissen, was Atome sind. Wir reden über das Leben, glauben zu wissen, was das Leben ist, und doch bleibt das Leben ein Geheimnis.

Sagen wir, ich rede über mein Bruder, und bin dafür bereit zu sterben, wenn mein Bruder in Not gerät, obwohl eigentlich jede Person für sich ein Geheimnis ist. Was hier vor sich geht ist nicht, dass ich rätseln würde, wer mein Bruder ist, sondern vielmehr sehe ich mich als ein Ergriffener, der ursprünglich zu dem steht, was mir da begegnet. Wie kommt das? Mir begegnet mein Bruder als etwas, was zuhöchst kostbar und unersetzlich ist. Ich erkenne meinen Bruder nicht deshalb bloß, weil ich sein Gesicht kenne, sondern weil mein Verstand und mein Herz ihn erfasst und mein Innerstes in Schwingung bringt. Das ist das, was Antoine de Exauperí meinte, als er schrieb, man würde nur mit dem Herzen gut sehen.

Es ist also unmöglich zu kennen, was man nicht wertschätzt, und man kann nichts wertschätzen, was man nicht kennt. Worum es hier geht, das nennt man in der Tradition "Philosophia Cordis" (Philosophie des Herzens). Gemeint ist hier nicht ein rein gefühlsmäßiges, sondern vielmehr eine innere Ordnung in der Wertewelt des Herzens. Dies hat eine Hierarchie und eine Ordnung. Die Liebe zum Nächsten ist anders als die Liebe zu den Eltern, und anders als die Liebe zum Feind, wenn nicht jemand sie gleich à la James Bond praktiziert. Und auch die Erkenntnisse der Mathematik sind nur möglich, weil das Herz in Schwingung gerät, wenn man ein gewisses "Gespür" für Unterschiede zwischen ganzen, rationalen und irrationale Zahlen entwickelt. Allein der Begriff "mathematische Unendlich" ist nur als Idee denkbar, wobei die Vorstellungskraft das Endlose fasst, indem das Herz dabei in Schwingung gerät. Die Mathematiker nehmen schon immer Bezug auf das, was man rein denkerisch nicht ganz umfassen kann.

 

Kategorie: Philosophie
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