Der frühere Glaubenspräfekt schrieb:
Joseph Ratzinger: Öffentliche Offenbarung und 'Privatoffenbarungen'
http://www.kath.net/news/26686
Weiterführende Gedanken hierzu
Es gibt eine Hierarchie in der Ordnung der Erkenntnis. Wer einen Apfel als Apfel sieht, hat ihn als Ganzes im Blick. Wer ihn als Kulturgut für den Apfelwein sieht, der hat zusätzliche Aspekte ins Ganze mit hinein genommen. Wenn aber der Apfel ein Geschenk ist, und einer den Dank ausdrückt, der hat ihn gänzlich im Blick. Es gibt nichts, was man noch hinzufügen könnte, weil andere Details nur noch vom Wesentlichen ablenken.
Vernunft und Liebe gehören zusammen. Mehr noch, die Liebe ist "vernünftig", das will heißen, auch die Liebe hat gewissermaßen eine Ordnung, oder eine Hierarchie. Die Liebe zum Ehegatten ist anders als die Liebe zu den Kindern, oder zu den Eltern, zum Nachbar oder gar die Liebe zum Feind. Liebe muss also eine Ordnung haben.
So gibt es auch eine Ordnung und auch eine Hierarchie in der Offenbarung. Wenn man Gott in der Natur erkennt, dann hat man gewissermaßen eine gewisse Ahnung über ihn. Wer Gott im Guten und in den 10 Geboten erkennt, wie die Juden, der hat Gott besser im Blick. Wer aber Gott in Jesus Christus erkennt, dass er sein Leben für uns hingegeben hat, der hat ihn am besten im Blick.
So kann es passieren, dass ein frommer Jude mystische Erfahrungen hat, nur bleiben diese Erfahrungen gewissermaßen auf der Strecke, sie kommen nicht zur Vollendung, weil er Christus nicht erfahren hat. Bei den Freikirchen ist das so, dass sie aus einer persönlichen Beziehung zu Jesus Christus und einer Jesusbegegnung im Herzen leben. Manchesmal wird berichtet, dass sie hier und da eine Heilung erfahren haben. Dennoch, von Jesus Christus gehört und verstanden haben wir in erster Linie von und durch die Kirche.
Ein Beispiel: Wenn mir Napoleon im Traum erscheint, ich noch nie zuvor von Napoleon sprechen gehört habe, und gesetzt sei die Erfahrung echt gewesen, und dieser im Traum zu mir sagt: "Hallo, ich bin Napoleon!" So wüsste ich immer noch nicht, wer dieser Napoleon war, wenn ich nicht zuvor die Geschichte kenne. Ein Kind erkennt seine Mutter erst, wenn es sie wiedererkennt. Die Heilige Schrift ist diejenige, die mir sagt, wer Jesus ist, und dass er sein Leben für mich hingegeben hat. Und die Jesuserfahrung bleibt sozusagen noch auf halbem Wege, da er sich mir in der Eucharistie geschenkt hat, mir ein Versprechen gegeben hat, dass er da ist, sooft ich davon esse. Ich kann mir vorstellen, Jesus würde es nur zu sehr gerne allen Freikirchlern sich im Brot schenken wollen, und zwar aus Liebe heraus. Für die Eucharistie heißt es aber in der Bibel ausdrücklich: "Wer mein Fleisch nicht isst, und mein Blut nicht trinkt"...
Der Mittelpunkt ist Jesus Christus
Für Privatoffenbarungen also gilt es zu unterscheiden: Handelt es sich um eine Offenbarung, die nahtlos in die Geschichte des Volkes Israels und der Kirche, die Jesus gegründet hat, hineinpasst? Handelt es sich um eine Offenbarung, die mir hilft, Vergangenes tiefer zu begreifen, die Liebe zu Jesus tiefer zu leben, oder handelt es sich um Dinge, die Belangloses, Irrsinniges, oder gar Schlechtes mir zumutet?
Johannes vom Kreuz, vielleicht der wichtigste christliche Mystiker, sagte einmal sinngemäß: Wenn ich in der Gefahr stünde, die Erscheinung von Gott mit Gott selbst zu verwechseln, dann will ich lieber die Erscheinung hassen. Das ist also die erste Stufe, wo ich zwischen Sein und Schein zu unterscheiden habe, und damit die Tür zu einer gesunden und ausgewogenen Philosophie, als Liebe zur Wahrheit, öffnet. Das Zweite ist, jedes kleine belanglose Detail, das ich zu dem ergänzen will, was ich von Jesus Christus durch Schrift und Tradition empfangen habe, lenkt vom Wesentlichen ab. Er meinte, es wäre eine Beleidigung Jesus gegenüber, zu glauben, dass ich die ganze Fülle, die er mitgegeben hat, ergänzen könnte. Im Schenken einer Blume zum Beispiel ist soviel Wesentliches mitgesagt, dass alles andere, was man hinzufügt, den Kern des Geschehens zunichte macht. Von daher versteht es sich, dass jegliche Offenbarung von der Schrift her und auf sie hin argumentieren muss. Sie muss sich nicht in den Mittelpunkt stellen, sondern den wahren Glauben an den lebendigen Jesus Christus. Das wäre also zu prüfen.
Nicht umsonst schenkt sich Jesus in Gestalt eines Babys, also ganz verletzlich und klein, und dann als Brot, damit er in mein Herz hinein findet.
Unterscheidung der Geister
Etwas anderes ist die Unterscheidung der Geister. Hier soll das, was unter dem Anschein des Guten sich uns präsentiert, entlarvt werden, die Wölfe im Pelzmantel, von denen die Bibel spricht. Oft wird der Hokus Pokus mit Naturwissenschaft vermischt; das ist die Geburtsstunde der Esoterik. Eben gerade wegen dieser Vermischung, ist sie so erfolgreich. Es muss also unterschieden werden zwischen dem Unsinn und dem, was den Verstand übersteigt. Der Glaube an Horoskope und rosa Einhörner ist nicht dasselbe wie der Glaube an Wunder, der Glaube, dass Gott Mensch geworden ist. Der Glaube hat an vielen Stellen mit dem zu tun, was den Verstand übersteigt. Eine Jungfrau wird schwanger, er erschafft die Welt aus dem Nichts, und Jesus weckt Tote auf.
Ignatius von Loyola
Der Begriff Unterscheidung der Geister ist von Ignatius von Loyola systematisch abgehandelt worden.Es besagt, dass sowohl Dinge gibt, die dem Alltäglichen entspringen, und den Anschein des Guten haben, aber auch kann das auf besondere Erfahrungen ausgedehnt werden. In der Ethik kann aus einem noblen Motiv heraus jemand dazu motiviert werden, das Falsche zu tun. Vom Heiligen Konrad gibt es eine Anekdote, wonach er eine Jesuserscheinung hatte, und diese zu ihm gesagt habe: "Knie nieder!" Daraufhin antwortete Bruder Konrad: "Jesus würde mich niemals so behandeln!" Daraufhin verwandelte sich die Gestalt in ein Dämon und floh davon. Gott bedarf nicht unseres Lobes, und zwingt niemand zu irgendetwas. Er möchte unsere Liebe, nicht unsere Unterwerfung.
Der Heilige Ignatius hatte mehrere innere Visionen gehabt, und dabei merkte er, dass manche Visionen ihn überwältigten, ihn total faszinierten, aber anschließend traurig stimmten. Andere Visionen hingegen erfüllten ihn mit einer lang andauernden Freude im Herzen, sosehr, dass er bereit war, dafür zu sterben. Er fragte sich, wie es kam, und anschließend sagte er sich, dass die erstgenannten Visionen mit Sicherheit nicht von Gott kamen. Eine weitere Regel zur Unterscheidung besagte, dass die echten Erscheinungen niemals der gesunden Vernunft widersprechen konnten. Bei der Unterscheidung der Geister spielt also ein gesunder Verstand und andererseits das Gefühl eine Rolle. Wie ist das zu verstehen?
Vernunft, Gespür und Gnade
Wenn wir ehrlich sind, so muss ein jeder erkennen, dass niemand nur nach dem Verstand Autofahren lernen kann. Sonst bräuchten wir nur die Gebrauchsanleitung zu lesen. Andererseits gibt es Leute, die fahren Auto ohne Verstand, fahren wie die Irren und nehmen wenig Rücksicht. Hier haben die Gefühle eine wichtige Funktion, den Sinn für Gefahr wecken. Man spürt das Laufen des Motors und die Geschwindigkeit, und man wirft einen Blick aufs Tacho.
So ähnlich verhält es sich bei den Regeln der Unterscheidung der Geister mit dem Gefühl: Wenn die Erscheinung Angst einflößt, Unruhe, Unfriede zwischen Geschwistern da ist, ist das ein Kennzeichen dafür, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. So ist also vor Entscheidungen besonders Vorsicht geboten, wenn sie nicht leicht rückgängig zu machen sind. Je mehr sie in unser Leben eingreifen, desto mehr Sorgfalt bedarf es.
Ein Drittes ist noch zu erwähnen, dass manches mal der Heilige Geist manchen Personen immer wieder ein Licht geben, ob etwas in Ordnung ist oder nicht. Hier spricht man also von der Gabe der Unterscheidung der Geister.
Die Unterscheidung der Geister setzt also auf drei Ebenen ein:
- Eine gesunde Vernunft. Hier kann eine gute Schulbildung gute Dienste machen, bei der Mathematik und den Naturwissenschaften.
- Ein gutes Gespür für Ausnahmesituationen, und zu erkennen, wann denn folgenreiche Entscheidungen anstehen.
- Die Gnade, dass der Heilige Geist, oder auch Gottes Gnade einem Licht schenkt, wann und wie man sich verhalten soll.
Gefahr der Vermischung
Man muss sagen, wann immer Gott sich privat mitteilt, ist das eine großartige Sache. Die Kirche ist prinzipiell offen für jegliche Gotteserfahrungen. Dabei kommt es nicht darauf an, einen klinisch sauberen Glauben zu bekommen, wo gar keine Fehler passieren dürfen. Wer das Menschliche in den Offenbarungen wegzustreichen versucht, der wird bald das Göttliche auch streichen. Vielmehr merkt man in der Regel sehr schnell, wann etwas nicht in Ordnung ist. Wenn im charismatischen Geschehen, jemand ein inneres Bild geschenkt wird, so hat es zugleich Bildcharakter, der mit der Heiligen Schrift eng verwoben ist, und als Trost und Ermutigung sehr wertvoll.
Aber sowohl im Alten Testament als auch im Neuen Testament wird vor den falschen Propheten gewarnt. Ein großer Feind hier war die Gnosis, die versucht hat, die Heilige Schrift zu verstellen. Erlösung wurde durch Erkenntnis gesucht, und nicht durch Umkehr und Dienst an den Armen. Die junge Kirche hat sich bereits in den paulinischen Schriften davon distanziert, und der Bischof Irenäus hat das später bei der Kanonbildung nochmals bekräftigt. Zur Erlösung sind vielmehr gute Werke und Versöhnung mit den Mitmenschen und mit Gott nötig.